Brief an die Gemeinde zu Allerheiligen

Ein bisschen heilig!

Liebe Gemeinde,

 

sind Sie schon einmal einem „echten“ Heiligen begegnet, also jemandem, der dann nach seinem Tod offiziell zur Ehre der Altäre erhoben wurde und von den Menschen betend verehrt wird? Auf den ersten Blick scheint das eine reichlich seltsame Frage zu sein.

Aber es hat mir vor einigen Jahren sehr berührt, als mir wieder bewusst wurde, dass ich wirklich schon einmal so einem Menschen begegnet bin: Mutter Teresa.

Sie wurde 1910 als Kind einer albanischen Familie geboren und trat schon als junge Frau in den Orden der Schwestern der seligen Jungfrau Maria ein. In Kalkutta verspürte sie die besondere Berufung, in den Ärmsten der Armen dem gekreuzigten und dürstenden Christus zu dienen. Sie gründete die Gemeinschaft der Missionarinnen der Nächstenliebe, die heute in allen Teilen der Welt den Armen, Kranken und Sterbenden dienen.

Viele Bilder zogen da vor meinem inneren Auge vorbei, als ich jedes Mal am 5. September, die Messe im Gedenken an diese heilige gefeiert habe. Als Theologiestudent hatte ich einst mit meinem Mitbruder das schier unvorstellbare Glück, mit ihr einen Nachmittag im Jahr 1995 in Pune, in Indien Kaffee zu trinken – ein Ereignis, das ich wohl nie vergessen werde.

Diese kleine und doch so menschliche Frau hat mich sehr beeindruckt.

Einmal in der Woche, ungefähr vier Jahre, besuchte ich ein Altersheim, das von den Schwestern der Mutter Teresa geführt wurde. Meine Aufgabe war es, den alten Leuten dort die Haare zu schneiden und sie zu rasieren. Und dort trafen wir sie. Mutter Teresa starb am 5. September 1997. Vor vier Jahren wurde sie von Papst Franziskus heiliggesprochen. Für viele ist sie die bekannteste Heilige der Neuzeit.

Vor einigen Jahren, vor dem Fest Allerheiligen, hatte die Redaktion einer Kirchenzeitung eine besondere Idee. Sie schickte einen Reporter auf die Straße, um verschiedenen Menschen eine einzige Frage zu stellen: „Kennen Sie jemanden, der ein bisschen heilig ist?“ Am Anfang, so schilderte dieser Reporter, gab es bei dieser Frage ein Problem. Manche wussten mit dieser Frage gar nichts anzufangen. Andere lachten nur darüber und meinten, sie kennen nur normale Menschen. Die Situation änderte sich jedoch, als eine Frau diese Frage ernst nahm und sagte: „Ja, ich glaube ich kenne so einen Menschen. Unsere Nachbarin. Ihr Mann ist nierenkrank und sie muss mit ihm jede Woche ins Krankenhaus fahren. Trotz ihrer Probleme ist sie aber immer freundlich und zuvorkommend.“

Ja, und plötzlich nahmen auch die anderen Befragten diese Frage ernst und entdeckten in ihrer Umgebung Menschen, die „ein bisschen heilig sind.“

Von Schicksalsschlägen wird berichtet, die geduldig und tapfer getragen werden; von Hilfsbereitschaft, Zeithaben, von Freundlichkeit und Geduld, die man durch Menschen tagtäglich erfährt. Und endlich wagen diese befragten Menschen auch zu sagen: „Ja, die könnten ein bisschen heilig sein.“ Mir fallen da in meiner Familie und in unserer Pfarrei großartige und liebenswerte Menschen ein, denen ich meinen Glauben und mein bewusstes Leben in und mit dieser Kirche verdanke. Ich denke aber auch an Lehrer von mir und an ganz einfache Leute, bei denen ich spüren konnte, was Menschlichkeit bedeutet. Das waren für mich Menschen, die Jesu Seligpreisungen mit Leben erfüllt haben. Sie haben wirklich Barmherzigkeit geübt, haben ihren Hunger und Durst nach Gerechtigkeit für diese Welt klar ausgesprochen. Sie sind mit Armen und Benachteiligten, mit Trauernden und Enttäuschten so umgegangen, als wäre ihnen in diesen Menschen wirklich Christus selber begegnet.

Alle diese Menschen sind für mich heute auch „Heilige“. An alle diese Menschen denke ich, wenn ich am 1. November den Festgottesdienst feiere.

Solcher Menschen gedenken wir heute, die nicht groß in der Öffentlichkeit wirken, sondern heilig sind im Kleinen, also „ein bisschen heilig sind“. „Freut euch und jubelt,“ ruft diesen Jesus Christus zu, „Euer Lohn im Himmel wird groß sein! Und wir erinnern uns auch wieder einmal daran, dass wir alle durch die Taufe geheiligt sind und den Auftrag haben, Heilige zu werden. Auch dabei geht es zuerst nicht um besondere Großtaten, sondern um die kleinen Zeichen von Menschlichkeit, die unsere Welt so notwendig braucht.

Der heilige Franz von Sales, der Patron meines Ordens, war überzeugt davon, dass jeder Getaufte heilig ist und dort, wo er lebt und arbeitet, heilig werden kann. Dafür hat er sein berühmtes Buch „Philothea“ geschrieben, eine Anleitung zum frommen, also heiligen Leben. Und er rät uns dafür vor allem den Weg der kleinen Schritte. Das ist seine Methode zur Heiligkeit:

Jeden Tag neu anfangen und jeden Tag einen weiteren kleinen Schritt gehen, um ein bisschen heilig zu leben.

Das, so sagt er, ist der sicherste Weg zur Vollkommenheit: Wir müssen immer wieder beginnen und zwar gerne wieder beginnen (DASal 5,272).

Jeden Tag ein bisschen mehr heilig werden, dort, wo wir leben und arbeiten, jeden Tag neu anfangen, ohne Aufhebens, im Kleinen, im Stillen, und das Ziel – für das wir bestimmt sind – nicht aus den Augen verlieren, nämlich das Ewige Leben in Gottes liebender Gegenwart … genau daran erinnert uns das heutige Fest Allerheiligen. Amen.

Ich wünsche euch/Ihnen einen gesegneten Tag!

Euer/Ihr P. Alex

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