Brief an die Gemeinde

Echte Kommunikation

Liebe Gemeinde, liebe Christen!

Ich kenne Dich, Du brauchst mir überhaupt nichts zu erzählen!" Mit diesem oder ähnlichen Sätzen fangen gemeinhin Gespräche an, die eigentlich schon zu Ende sind noch ehe sie begonnen haben. Nichts ist tödlicher für ein Gespräch, als die feste Überzeugung, dass mein Gegenüber mir sowieso nichts Neues mitzuteilen hat. Da ist dann jedes weitere Wort eigentlich schon überflüssig. Wenn wir von vorneherein wissen was der andere jetzt sagen will, dann ist's im Grunde ja völlig unnötig, überhaupt noch miteinander zu reden. 

Gut, manchmal mag das ja auch tatsächlich so sein. Es soll ja vorkommen, dass sich Menschen so gut kennen, dass sie eigentlich gar keine Worte mehr brauchen. Bei Ehepaaren, die seit vielen Jahrzehnten verheiratet sind, soll das ja schon einmal vorkommen, dass man sich wortlos versteht, weil man sich tatsächlich so gut kennt. Aber ich denke, das ist dann doch die ganz große Ausnahme. Ich wüsste nicht, dass ich auch nur einen einzigen Menschen auf diese Art und Weise kennen würde. Und trotzdem kommt auch mir dieser Satz immer wieder so furchtbar schnell über die Lippen:

Den kenne ich doch, der braucht mir gar nichts zu erzählen!

Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich meine Umgebung und die Menschen darin fein säuberlich in Schubladen einsortiere: "Der ist schon immer unsympathisch gewesen, mit dem konnte man noch nie etwas anfangen und die hat sowieso noch nie etwas Gescheites zu Wege gebracht." Ich mache mir ein genaues Bild vom anderen und bilde mir dann ein, genau zu wissen, mit wem ich es zu tun habe.

Jesus selbst hat genau das gleiche am eigenen Leib ganz leidvoll erfahren. Als er nach einiger Zeit wieder nach Hause kam, hat er genau diese Sätze von den Menschen in Nazaret gehört:

"Was will denn der? Das ist doch der Sohn des Zimmermanns. Die Familie kennen wir doch! Den kennen wir doch!"

Offensichtlich ist das eine Gefahr, in der wir Menschen ganz schnell stehen: Wir stecken andere in Schubläden! Das ging Jesus in Nazaret so, und es geschieht überall wo Menschen zusammenleben: in jedem Verein, in jeder Stadt, in der Pfarrgemeinde und viel zu oft wahrscheinlich auch in Partnerschaft und Ehe! Das Gefühl, genau zu wissen wer der andere doch ist, begegnet uns überall. Und es erschwert Menschen fast überall sich zu verändern und neu zu werden. Wo aber Menschen daran gehindert werden sich zu entfalten, wo Menschen fest in Rollen einzementiert werden, dort werden sie letztlich daran gehindert wirklich zu leben. Und genauso wird überall dort, wo Menschen daran gehindert werden, sich wirklich zu entfalten, genauso wird überall dort am Ende etwas getötet. Etwas stirbt am Ende immer ab.

In Nazaret etwa starb die Beziehung, die Jesus zu seiner Heimat hatte. Zwischen ihm und den Menschen in seiner Heimat konnte sich nichts mehr ereignen. Das war vorbei. Im Evangelium hören wir: Jesus konnte dort kein Wunder tun. Und wo Menschen heute auf Rollen fixiert und in Schubladen gesteckt werden, dort ist genauso immer etwas am Sterben: Die Freundschaft, die Partnerschaft, die Beziehung zu diesen Menschen.

Unser Miteinander kann nur gelingen, wenn wir den anderen und die Begegnung mit ihm als das erleben, was sie wirklich sind: immer wieder nämlich als eine neue Herausforderung, ein Wagnis, ein Abenteuer, etwas, was sich nie ganz planen lässt, etwas, was immer offen ist für Überraschungen, für das Neue, für den anderen eben.

Das macht das Leben zugegebenermaßen nicht einfacher, das macht es vielmehr weniger kalkulierbar. Das macht es mit Sicherheit anstrengender, denn es ist anstrengender, eine Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen. Wir müssen dann ja in dem Bewusstsein leben, dass wir mit dem anderen nie zu Ende kommen, dass wir ihn im Grunde jeden Tag erst wieder ganz neue entdecken müssen. Dies macht das Leben sicher nicht einfacher, aber es ist vielleicht die einzige Möglichkeit, es wirklich zu leben, denn Leben ist kein Zustand, Leben ist Veränderung und Bewegung,

Und nur dort, wo wir dieser Veränderung ihren Raum geben, nur dort erleben wir auch das Leben, nur dort gewinnt das Leben seine ungeahnte Faszination. Dort wird es wirklich lebenswert, im wahrsten Sinne des Wortes interessant. So interessant wie das Leben eben, Amen.

Ihr

Pater Alex

 

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